Die erste Grenzbefestigung

Wir sind im Jahr 1632. Europa versinkt in einem der blutigsten Kriege seiner Geschichte. Seit 14 Jahren bekämpfen sich die Völker Europas. Was damals mit dem Prager Fenstersturz begonnen hat, ist von einem Konfessionskrieg zu einem brutalen Kampf um Macht und territoriale Kontrolle geworden. Vor einem Jahr haben die protestantischen Truppen die Katholische Liga, zu der auch Bayern und das Habsburgerreich gehören, bei Leipzig vernichtend geschlagen. Der Vormarsch der Schweden nach Süden scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Im April 1632 siegen sie in Rain am Lech, im Mai nehmen sie München ein. Im Juni kommt das schwedische Heer bis an die Tore der Festung in Ehrenberg. Der Angriff scheitert allerdings, und die Schweden ziehen sich zurück. Vorerst?

In diesen unruhigen Zeiten, in denen die Kriegsgefahr für Tirol so groß ist wie nie, liegt die Verantwortung für das Land in der Hand einer Frau: der Landesfürstin Claudia de’ Medici. Sie sieht mit Sorge, wie die Schweden nach Süden vorrücken.

Noch unter ihrem kürzlich verstorbenen Mann Leopold V. haben die Brüder und Architekten Christoph und Elias Gumpp aus Innsbruck den Auftrag erhalten, den Zustand der Verteidigungsanlagen im Norden zu überprüfen. Besonders Ehrenberg und Scharnitz stehen im Fokus, hat man doch zu Recht damit gerechnet, dass die Schweden hier versuchen, nach Süden durchzubrechen.

Den Abschlussbericht der beiden Architekten nimmt nach dem Tod ihres Gatten bereits Claudia de’ Medici entgegen. Das Urteil: Die Verteidigungsanlagen in Ehrenberg und Scharnitz sind kaum geeignet, um einen mächtigen Gegner abzuwehren. Wenig verwunderlich für Scharnitz, denn anders als in Ehrenberg gibt es hier keine Burg oder Festung. Man hat bislang auf die Isar und die Gebirgsketten als natürliche Barrieren vertraut und darüber hinaus lediglich an leicht zu verteidigenden Stellen Schanzbauten errichtet. Für ein europaweit gefürchtetes modernes Heer wie das der Schweden kein wirkliches Hindernis.

Claudia zögert nicht lange. Sie verfügt, den bereits begonnenen Ausbau in Ehrenberg fortzuführen, und auch Scharnitz soll ausgebaut werden. Die Landesfürstin verpflichtet die Gerichtsbezirke dazu, sechs bis zehn gute Arbeiter nach Ehrenberg und Scharnitz zu schicken, darunter Maurer und Zimmerleute. Die Bauleute werden zur Eile angetrieben.

Ehrenberg hat aufgrund des schwedischen Angriffs von 1632 zwar Vorrang. Aber bereits 1633 beschließt Claudia die Errichtung einer Schanze „an der Schernitzpruggen“. Hier gibt es allerdings ein Problem: Es ist der Grenzverlauf. Die Brücke, die beim Gasthof Goldener Adler über die Isar führt – heute inmitten des Dorfes –, ist damals der Grenzübergang zwischen Tirol und dem Bistum Freising, dem die Gebiete auf bayerischer Seite gehören.

Die Isar als natürliche Grenze und die Berge zu beiden Seiten des Durchzugstals bieten bei Scharnitz zwar geografische Vorteile. Eine Schanze muss aber auf der anderen Flussseite stehen, damit Angreifer abgewehrt werden können, bevor sie an die Isar gelangen. Um dort eine Wehranlage errichten zu dürfen, begibt sich Claudia also zunächst in Verhandlungen mit dem Bistum Freising.

Hier regiert seit 1618 Veit Adam von Gepeckh als Fürstbischof. Als kunstinniger Mann hat er bei Peter Paul Rubens in Antwerpen Altarbilder in Auftrag gegeben und die Fürstbischöfliche Residenz errichten lassen. 1632 hat Veit Adam miterlebt, wie Freising vom Schwedenkönig Gustav Adolf überfallen, beraubt und gebrandschatzt wurde und mit dem Krieg auch Hunger und die Pest über die Stadt gekommen sind.

Die Bitte Claudias, auf Freisinger Grund eine Schanze errichten zu dürfen, erreicht also einen Mann, der die Schrecken des schwedischen Durchmarsches selbst erfahren hat. Fürstbischof Veit Adam und die Landesfürstin können sich rasch einigen. Ihre Vereinbarung beinhaltet lediglich die Verpflichtung, die Rechte unter anderem auf Almabtrieb, „Pluembesuech“ und Holzschlag zu respektieren. Damit hat Claudia die Hürde des ungünstigen Grenzverlaufs genommen. Die Wehranlage kann endlich gebaut werden.

1634 ist der Bau der Schanze abgeschlossen, doch hat die Bedrohung inzwischen abgenommen. Die Anlage wird fortan sich selbst überlassen. Verwitterung und schleichender Verfall setzen ihr zu, bald sind Reparaturen und Sanierungsarbeiten vonnöten. Die finanziellen Mittel des Landes fließen aber mittlerweile in andere Projekte. Bereits sieben Jahre später ist die Schanzanlage so reparaturbedürftig, dass sich die Landesregierung damit auseinandersetzen muss. Allerdings hat die Kammer zunächst kein Geld dafür.

Ende 1642 wird schließlich Elias Gumpp damit beauftragt, die Schanze in Scharnitz zu besichtigen. Zu dieser Zeit häufen sich Frontberichte über das Nahen der schwedisch-französischen Truppen. Doch die Schlachten bringen keine Entscheidungen mehr. Ab 1643 verhandeln die Kriegsparteien deshalb in Münster und Osnabrück über einen möglichen Friedensschluss. Ein Ende des Krieges scheint absehbar, und so geht Claudia davon aus, dass die Bedrohung für Tirol wieder abnimmt. Es wird aber noch weitere fünf Jahre Blut fließen, ehe 1848 der Westfälische Friede verkündet und damit der Dreißigjährige Krieg beendet werden kann.

In Scharnitz steht nun eine Befestigungsanlage. Doch ist die Gefahr für Tirol vorüber? Kommen Zeiten des Friedens? Noch ahnt niemand, dass die Schanze 55 Jahre später fallen wird.