Exkurs: Das Tiroler Landlibell

Dass dieser große Krieg in Tirol auf den Sommer 1703 beschränkt bleibt, ist vor allem dem Tiroler Landsturm zu verdanken. Um ihn zu verstehen, gehen wir jetzt etwas weiter in die Geschichte zurück – ins frühe 16. Jahrhundert.

Am 23. Juni 1511 erlässt Kaiser Maximilian I. als Teil der Tiroler Landesverfassung das so genannte Landlibell. Im Einvernehmen mit den Landständen legt er darin fest, dass ohne deren Zustimmung kein Krieg „durch das Land“ zu führen sei, Angriffskriege also nur dann von Tirol ausgehen dürfen, wenn der Landtag dem zustimmt. Die Urkunde ist am Freiheitsbrief von 1406 orientiert, der die Dauer des Kriegsdienstes der Tiroler Stände und die Stärke ihres Aufgebots regelt.

Im Landlibell ist die Struktur der Tiroler Landesverteidigung in zwei Teilen vorgegeben: Sie besteht aus dem Aufgebot, einem von den Gerichten eingeteilten stehenden Heer von 5.000 bis 20.000 Soldaten, und dem Landsturm, der im „Bayerischen Rummel“ 1703 besondere Ehre erlangt. Er wird im Falle einer großen Bedrohung ausgerufen und kommt einer Generalmobilmachung aller wehrfähigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren gleich.

Das Landlibell bleibt im Wesentlichen bis 1918 gültig, wenngleich es auch immer wieder den militärischen und politischen Umständen angepasst wird.

Der Durchmarsch der bayerischen Armee bis ins Wipptal hat den Tirolern 1703 allerdings gezeigt, dass ihre Landesverteidigung für den Ernstfall kaum gewappnet ist. Es mangelt an Kampfausbildung und -erfahrung. Als Konsequenz daraus werden 1704 neben dem Militär die Schützen als eigene Truppe eingeführt. Das Schützenwesen stärkt die Wehrfähigkeit der Tiroler immens. Das wird sich besonders in den Napoleonischen Kriegen hundert Jahre später zeigen, obgleich sich die Tiroler dann der Überlegenheit der französisch-bayerischen Armee werden beugen müssen. In der anschließenden Besatzung durch die Bayern ist das Landlibell vorübergehend – bis zur Wiederherstellung Tirols – außer Kraft gesetzt.

1870 wird in der Habsburgermonarchie die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Sie wirkt sich auf die Tiroler Wehrverfassung insofern aus, dass junge Männer für die Dauer der Wehrpflicht dem Schützenwesen entzogen sind. Mit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie ist auch die Zeit des Tiroler Landlibells vorbei. Das Schützenwesen lebt jedoch weiter. Angesichts der politischen Verhältnisse und sicherheitspolitischen Herausforderungen haben die Schützen heute vor allem die Aufgabe der Repräsentation und der Pflege der Tradition.

Was den Landsturm betrifft, so greift zuletzt das NS-Regime noch einmal auf die Ideen der Tiroler Wehrverfassung zurück. Dem Einberufen von Kindern, Jugendlichen und alten Menschen zum „Deutschen Volkssturm“ liegt eine ähnliche Idee der Generalmobilmachung zugrunde, die in der napoleonischen Zeit auch als „das letzte Aufgebot“ Eingang in die Alltagssprache der Tiroler gefunden hat.