Route DUNKELBLAU

Der Scharnitz-Wald

Wir befinden uns im Werdenfelser Land. Hier sehen wir hohe Berge, eine reizvolle Landschaft, im Sommer blühend, im Winter schneebedeckt. Das Klima ist rau, doch oft täuschen die sattgrünen Wälder und ein strahlend blauer Himmel darüber hinweg. Der Wind kann schneidend sein, die Temperaturen tief sinken.

Wir sind hier in einem Wald, der einst weite Flächen bedeckt und vom Seefelder Plateau bis hinaus nach Klais gereicht hat. Dieser Wald wird „Scharnitz-Wald“ genannt. Zum Ursprung des Wortes Scharnitz gibt es verschiedene Erklärungen, die allesamt über Jahrhunderte zurückreichen. Eine ist die Beschreibung „mitten in der Waldeinsamkeit“, wie es im Jahr 760 in der Gründungsurkunde eines Klosters heißt: „In Solitudine Scarantiensi“. In den 1970er-Jahren wird das Kloster Scarantia, also Scharnitz, bei Klais durch Ausgrabungen nachgewiesen. Bestanden hat es seinerzeit nicht lange: Schon zwölf Jahre nach seiner Gründung wird das Kloster wieder aufgelassen, da die Gegend zu rau, karg und wild ist.

Die Beschreibung der Landschaft hat dem Wald seinen Namen gegeben und er dem Ort Mittenwald, denn diese Siedlung wird im Jahr 1098 „mitten im Wald“ gegründet. Schon damals liegt Mittenwald aber nicht nur mitten im Scharnitz-Wald, sondern auch an einer wichtigen Handelsstraße und zentralen Nord-Süd-Verbindung, die bereits in der Antike Rom mit Augusta Vindelicorum verbindet, dem heutigen Augsburg.

Von Mittenwald aus werden Scharnitz und die Leutascher Gebiete besiedelt. Grundbesitzer in dieser Gegend sind dazumal die Benediktiner-Mönche. Wir werden noch erfahren, dass diese Besitzverhältnisse zu Entwicklungen führen, die die Ansiedlungen im Scharnitzer Gebiet dreiteilen werden.

Eine Grenze entsteht

Staatsgrenzen sind eine relativ junge Erfindung der Politik. Sie kommen erst mit den Nationalstaaten auf, deren Gebiet klar definiert ist. Zuvor umschließen Grenzen eher Eigentum und Besitz und sind mit Marksteinen gekennzeichnet. Wer Besitz hat, muss ihn auch verwalten.

Die kirchlichen Besitztümer, in der Werdenfelser Region im Speziellen die der Benediktiner, sind in der Geschichte verschiedenen Entwicklungen unterworfen. Ihre Hochblüte ist die Zeit der mächtigen Bistümer. Nicht weit von hier entsteht ab 725 eines dieser Fürstbistümer: das Bistum Freising. Bald erlebt es eine kulturelle Hochblüte und dehnt sich weiter aus. So gehört etwa der Inrain in Scharnitz bis zum Jahr 1766 zum Fürstbistum Freising; heute findet sich der Freisinger „Mohrenkopf“ als Wappen des Bistums noch in zahlreichen Gemeindewappen der Region, beispielsweise in dem von Mittenwald.

Neben den Grenzen der kirchlichen Besitztümer prägen auch weltliche Grenzen die Region über die Jahrhunderte. Lang gehört Tirol zu Bayern, 1363 geht das Land an die Habsburger. Unter ihnen wird die Grafschaft von Tirol in Gerichtsbezirken organisiert, wie es sie heute noch im österreichischen Verwaltungssystem gibt. In der Habsburger Zeit wird ein Teil des Seefelder Plateaus vom Schlossberg aus verwaltet, der westliche jedoch von Telfs aus, gehört also zum Gericht Hörtenberg.

Was heute alles Scharnitz ist, wird in früherer Zeit von drei verschiedenen Verwaltungen kontrolliert: dem Bistum Freising, zum dem die Gebiete östlich der Isar gehören, dem Gerichtsbezirk Hörtenberg, dem die Gebiete südwestlich der Isar zugeordnet sind, und dem Gerichtsbezirk Schloßberg, der die Besiedelung südöstlich der Isar verwaltet.

Grenzen sind nicht nur wegen der Besitzungen wichtig. Wer damals über Besitz verfügt, hat die Jagd- und Fischereirechte inne, herrscht über Bauern und Lehensleute und kann auf den Straßen Maut einheben. Gerade die Nord-Süd-Verbindung zwischen Augsburg und Rom wird als Rottstraße immer wichtiger und durch den „Bozener Markt“ in Mittenwald schließlich zu einer bedeutenden Handelsroute. Wer, wie die Tiroler Landesfürsten, Gebietsgrenzen unter seiner Kontrolle hat, kann Zölle einheben. Dafür wird Anfang des 17. Jahrhunderts in Scharnitz am Übergang über die Isar eine Zollstation errichtet – sehr zum Missfallen der bayerischen Fuhrunternehmer.

Besiedelung

Mittenwald gilt als die Mitte des Scharnitz-Waldes. In den ersten 200 Jahren nach seiner Gründung 1098 wächst die Bevölkerung rasch an. Die Menschen roden Teile des Waldes, um Platz für ihre Häuser zu schaffen. Einige der Neubauten haben allerdings einen rein wirtschaftlichen Zweck: Sie dienen dem zunehmend wichtigen Handel. 1470 errichtet die Gemeinde etwa ein erstes großes Ballenhaus, in dem verschiedenste Waren gelagert werden. Raum wird auch den Pilgerreisenden geboten, die durch Mittenwald hier Unterkunft finden. Und schließlich etabliert sich der Instrumentenbau. Die Herstellung von Geigen erlebt vom 17. bis ins 19. Jahrhundert ihre Hochblüte, und noch heute ist Mittenwald für dieses traditionsreiche Handwerk bekannt. Ab dem 19. Jahrhundert gewinnt der Fremdenverkehr an Bedeutung, im 20. Jahrhundert zudem das Militär. Kasernen werden gebaut, Mittenwald zum Garnisonsort. Heute setzt man wirtschaftlich vor allem auf die Möglichkeiten, die der Tourismus Mittenwald bietet.

Scharnitz verdankt seine Gründung ebenfalls der geografischen Lage. Die Handelsstraße quert hier über eine Brücke die Isar. Sie ist so zum Grenzfluss geworden, ihre Überquerung zu einem Grenzübertritt. Schon früh werden Raststationen für Reisende errichtet, etwa der bis heute bestehende Gasthof zum Goldenen Adler direkt an der damaligen Grenze. Weiter im Norden, auf Freisinger Gebiet, können die Reisenden im Rasthof Blaue Traube einkehren. Gegenüber wird ein Ballenhaus errichtet. Der aufkommenden Holzindustrie beschert die Isar einen natürlichen Transportweg. Das Holz wird im Karwendelgebirge geschlagen, auf der Isar hinausbefördert und in Scharnitz verarbeitet. Im Karwendel arbeiten viele Menschen im Bergbau. Sie schürfen vor allem nach Silber, ehe der Abbau hier unrentabel und bei Schwaz im Inntal fortgesetzt wird. Die bei Scharnitz verlaufende Grenze zwischen den Habsburger Gebieten und dem Bistum Freising macht das Dorf zur Grenzgemeinde. Das bringt wirtschaftlichen Aufschwung, denn es müssen mehr Lebensmittel aufgebracht und mehr Waffen geschmiedet werden. Im 20. Jahrhundert ist es auch die Bahn, die Fortschritt und Wachstum nach Scharnitz bringt. Der Tourismus hält Einzug, ebenso die Energiegewinnung. Im Karwendel werden Kraftwerke gebaut, die die Region mit elektrischem Strom versorgen und unverzichtbar werden.

Sowohl Mittenwald als auch Scharnitz wachsen über die Jahrhunderte durch wirtschaftlichen Aufschwung, müssen aber auch manche Rückschläge hinnehmen, erleben Katastrophen und Krieg. Und oft finden sich beide Orte mitten im weltpolitischen Geschehen wieder – ohne Zutun der Menschen hier. Es ist die Grenze zwischen ihnen, die die große Geschichte hierherverschlägt.

Die erste Grenze

Im Februar 1611 errichten die Scharnitzer an der „Yser-Pruggen“ das erste Grenzwachhäuschen und stellen eine Schranke auf – damit ist der Grenzübergang erstmals sichtbar. An diesem Grenzbalken stören sich rasch die Werdenfelser Fuhrleute, sodass sie beim Pflegeamt Werdenfels ihren Unmut vorbringen. Die Werdenfelser begeben sich darauf zu einem Lokalaugenschein und berichten dem Hochstift Freising.

Am 8. November 1628 fertigen der Pfleger von Hörtenberg-Telfs Abrahamen Ottenthaller und sein Gerichtsschreiber Maximilien Zehentner eine Urkunde an. Darin dokumentiert: der genaue Grenzverlauf zwischen dem Bistum Freising und Tirol. Der Forstknecht Mathias Lännzinger beschreibt ihn mit folgenden Worten:

„… von gemelten Maull Egg, den Grad nach yber sich, wenst am Kopf hinauf aldorten ein dergleichen Kreiz zusechen, von dorten hin in den Rietsatl in Grat von dannen desselben Grats herab in die scharten, vollgennts aus der scharten über zwerch durch den werzperg an die Clamb, da des wasser heraus feldt, nachmals … hinauf den Thal nach auf den Grat, und den Grat nach hinein an die Seewant in die Forchen, von dorten an den weterstain…“

„… wennzt am Karwenndlbach, und über den Karwenndlpach, von dem Stög auf die Höch den Grad nach bis an das Cärle des da stost an des Mellauner Alben genant, als mit der Tallnaigung gegen dem bemelten Karwenndlpach, so man hinein geet von Lärche an den Hochlaur, von dannen in den Karwenndl Spiz, von demselben in den Wechsl, von alderten hinab den Grat nach hinaus…“

[Mit hinterlegten Fußnoten: Werzperg = Schartenkopf; Clamb = Leutascher Klamm; Forschen = Ferchenseewände; Cärle = Bockkar-Spitze; Lärche = Larchetalm; Hochlaur = Hochalm; Wechsl = Wechselkopf]

Die erste Grenzbefestigung

Wir sind im Jahr 1632. Europa versinkt in einem der blutigsten Kriege seiner Geschichte. Seit 14 Jahren bekämpfen sich die Völker Europas. Was damals mit dem Prager Fenstersturz begonnen hat, ist von einem Konfessionskrieg zu einem brutalen Kampf um Macht und territoriale Kontrolle geworden. Vor einem Jahr haben die protestantischen Truppen die Katholische Liga, zu der auch Bayern und das Habsburgerreich gehören, bei Leipzig vernichtend geschlagen. Der Vormarsch der Schweden nach Süden scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Im April 1632 siegen sie in Rain am Lech, im Mai nehmen sie München ein. Im Juni kommt das schwedische Heer bis an die Tore der Festung in Ehrenberg. Der Angriff scheitert allerdings, und die Schweden ziehen sich zurück. Vorerst?

In diesen unruhigen Zeiten, in denen die Kriegsgefahr für Tirol so groß ist wie nie, liegt die Verantwortung für das Land in der Hand einer Frau: der Landesfürstin Claudia de’ Medici. Sie sieht mit Sorge, wie die Schweden nach Süden vorrücken.

Noch unter ihrem kürzlich verstorbenen Mann Leopold V. haben die Brüder und Architekten Christoph und Elias Gumpp aus Innsbruck den Auftrag erhalten, den Zustand der Verteidigungsanlagen im Norden zu überprüfen. Besonders Ehrenberg und Scharnitz stehen im Fokus, hat man doch zu Recht damit gerechnet, dass die Schweden hier versuchen, nach Süden durchzubrechen.

Den Abschlussbericht der beiden Architekten nimmt nach dem Tod ihres Gatten bereits Claudia de’ Medici entgegen. Das Urteil: Die Verteidigungsanlagen in Ehrenberg und Scharnitz sind kaum geeignet, um einen mächtigen Gegner abzuwehren. Wenig verwunderlich für Scharnitz, denn anders als in Ehrenberg gibt es hier keine Burg oder Festung. Man hat bislang auf die Isar und die Gebirgsketten als natürliche Barrieren vertraut und darüber hinaus lediglich an leicht zu verteidigenden Stellen Schanzbauten errichtet. Für ein europaweit gefürchtetes modernes Heer wie das der Schweden kein wirkliches Hindernis.

Claudia zögert nicht lange. Sie verfügt, den bereits begonnenen Ausbau in Ehrenberg fortzuführen, und auch Scharnitz soll ausgebaut werden. Die Landesfürstin verpflichtet die Gerichtsbezirke dazu, sechs bis zehn gute Arbeiter nach Ehrenberg und Scharnitz zu schicken, darunter Maurer und Zimmerleute. Die Bauleute werden zur Eile angetrieben.

Ehrenberg hat aufgrund des schwedischen Angriffs von 1632 zwar Vorrang. Aber bereits 1633 beschließt Claudia die Errichtung einer Schanze „an der Schernitzpruggen“. Hier gibt es allerdings ein Problem: Es ist der Grenzverlauf. Die Brücke, die beim Gasthof Goldener Adler über die Isar führt – heute inmitten des Dorfes –, ist damals der Grenzübergang zwischen Tirol und dem Bistum Freising, dem die Gebiete auf bayerischer Seite gehören.

Die Isar als natürliche Grenze und die Berge zu beiden Seiten des Durchzugstals bieten bei Scharnitz zwar geografische Vorteile. Eine Schanze muss aber auf der anderen Flussseite stehen, damit Angreifer abgewehrt werden können, bevor sie an die Isar gelangen. Um dort eine Wehranlage errichten zu dürfen, begibt sich Claudia also zunächst in Verhandlungen mit dem Bistum Freising.

Hier regiert seit 1618 Veit Adam von Gepeckh als Fürstbischof. Als kunstinniger Mann hat er bei Peter Paul Rubens in Antwerpen Altarbilder in Auftrag gegeben und die Fürstbischöfliche Residenz errichten lassen. 1632 hat Veit Adam miterlebt, wie Freising vom Schwedenkönig Gustav Adolf überfallen, beraubt und gebrandschatzt wurde und mit dem Krieg auch Hunger und die Pest über die Stadt gekommen sind.

Die Bitte Claudias, auf Freisinger Grund eine Schanze errichten zu dürfen, erreicht also einen Mann, der die Schrecken des schwedischen Durchmarsches selbst erfahren hat. Fürstbischof Veit Adam und die Landesfürstin können sich rasch einigen. Ihre Vereinbarung beinhaltet lediglich die Verpflichtung, die Rechte unter anderem auf Almabtrieb, „Pluembesuech“ und Holzschlag zu respektieren. Damit hat Claudia die Hürde des ungünstigen Grenzverlaufs genommen. Die Wehranlage kann endlich gebaut werden.

1634 ist der Bau der Schanze abgeschlossen, doch hat die Bedrohung inzwischen abgenommen. Die Anlage wird fortan sich selbst überlassen. Verwitterung und schleichender Verfall setzen ihr zu, bald sind Reparaturen und Sanierungsarbeiten vonnöten. Die finanziellen Mittel des Landes fließen aber mittlerweile in andere Projekte. Bereits sieben Jahre später ist die Schanzanlage so reparaturbedürftig, dass sich die Landesregierung damit auseinandersetzen muss. Allerdings hat die Kammer zunächst kein Geld dafür.

Ende 1642 wird schließlich Elias Gumpp damit beauftragt, die Schanze in Scharnitz zu besichtigen. Zu dieser Zeit häufen sich Frontberichte über das Nahen der schwedisch-französischen Truppen. Doch die Schlachten bringen keine Entscheidungen mehr. Ab 1643 verhandeln die Kriegsparteien deshalb in Münster und Osnabrück über einen möglichen Friedensschluss. Ein Ende des Krieges scheint absehbar, und so geht Claudia davon aus, dass die Bedrohung für Tirol wieder abnimmt. Es wird aber noch weitere fünf Jahre Blut fließen, ehe 1848 der Westfälische Friede verkündet und damit der Dreißigjährige Krieg beendet werden kann.

In Scharnitz steht nun eine Befestigungsanlage. Doch ist die Gefahr für Tirol vorüber? Kommen Zeiten des Friedens? Noch ahnt niemand, dass die Schanze 55 Jahre später fallen wird.

1703: Die Porta Claudia fällt

1703 sucht der „Bayerische Rummel“ die Region heim. Es ist ein Krieg, in dem sich Bayern und Habsburger gegenüberstehen. Erbittert wird gekämpft. Scharnitz wird neuerlich zum Frontgebiet.

Der „Bayerische Rummel“ ist einer der regionalen Auswüchse des Spanischen Erbfolgekriegs. Am 1. November 1700 stirbt Karl II., König von Spanien und Habsburger. Selbst kinderlos, hat Karl einen Erben eingesetzt: Philipp V., einen französischen Adeligen aus der Königsdynastie der Bourbonen. Die österreichische Linie der Habsburger unter Kaiser Leopold I. sieht diesen möglichen Einfluss der Bourbonen in Spanien als Bedrohung an und unterstützt – letztlich vergeblich – einen anderen Kandidaten.

Wie im Dreißigjährigen Krieg scharen sich rund um die Konfliktparteien zahlreiche Verbündete, die auch ihre ganz eigenen Motive dafür haben. So weitet sich der Erbstreit um den spanischen Thron rasch zu einem Krieg aus, in dem sich die Haager Große Allianz mit den Habsburgern und ein breites antihabsburgisches Bündnis unter der Führung des französischen Königs Ludwig XIV. gegenüberstehen. Die Kämpfe werden sich bis in die Kolonien Nordamerikas auswachsen und bis 1714 andauern.

Bayern ist im Spanischen Erbfolgekrieg mit Frankreich verbündet, Tirol kämpft auf Seiten der Habsburger. In dieser Konstellation hat Bayern eine Schlüsselfunktion, denn Frankreich befiehlt seine Truppen in Oberitalien in den Norden. Sie sollen in Tirol auf das bayerische Heer treffen, um von hier aus nach Osten Richtung Wien vorzurücken. Diesem Plan folgend entsendet Kurfürst Max II. Emanuel von Bayern seine Truppen, die am 17. Juni 1703 an der Tiroler Nordgrenze stehen. Tags darauf bezwingen sie die Windhausen-Schanze bei Erl, zwei Tage später belagern die Bayern Kufstein. Brände greifen hier auf das Pulverlager der als uneinnehmbar geltenden Festung über, die Pulvervorräte explodieren. Kufstein kapituliert am 20. Juni. Am 23. Juni nehmen die Bayern Rattenberg ein, am 25. besetzen sie Hall, am 26. marschieren die bayerisch-französischen Truppen in Innsbruck ein.

Am 28. Juni 1703 greifen die nun aus dem Süden kommenden bayerischen Truppen die verbliebenen Grenzbefestigungen im Norden an: Sie besetzen Ehrenberg, die Leutascher Schanze und auch Scharnitz.

Doch das Kriegsglück der Bayern hält nicht lange an. Bereits drei Tage später schlagen die Tiroler sie im Oberinntal zurück. Von Osten erreichen österreichische Truppen Tirol. Ende Juli bleibt Max II. Emanuel nichts anderes übrig, als seine Truppen über das Seefelder Plateau nach Norden zurückzuziehen und Tirol aufzugeben. Doch bevor die Bayern Scharnitz verlassen, sprengen sie hier das Pulvermagazin in die Luft und zerstören Teile der Wehranlage.

Abfinden wird sich der bayerische Kurfürst mit dieser Niederlage jedoch nicht. Wenig später versucht er nochmals, über Scharnitz in Tirol einzufallen. Um die Wehranlage erneut einnehmen zu können, bedienen sich die Bayern einer List: Ein Mittenwalder Jäger führt sie um die Wehranlage herum. So können die bayerischen Soldaten die Tiroler wieder von hinten überrumpeln. Scharnitz ist eingenommen.

Die Nachricht von der Eroberung von Scharnitz breitet sich wie ein Lauffeuer aus. Die österreichischen Truppen, die nach der vermeintlichen Abwehr der Bayern abgezogen sind, machen kehrt. Unter General Sigbert Heister marschieren sie wieder Richtung Tirol, um Scharnitz zurückzuerobern. Mit diesem schnellen Einschreiten haben die Bayern nicht gerechnet. Erneut müssen sie sich geschlagen geben, doch vor ihrem Rückzug sprengen sie diesmal die gesamte Wehranlage in Scharnitz.

Siebzig Jahre nach ihrer Errichtung wird die Porta Claudia damit zum ersten Mal zur Ruine.

Der Karwendel-Vertrag

1740 wird Maria Theresia Regentin von Österreich. Die 1717 in Wien geborene Erzherzogin hat 18-jährig Herzog Franz Stephan von Lothringen geheiratet. Nach dem Tod ihres Vaters, Kaiser Karls VI., wird sie jetzt mit 23 Jahren Herrscherin über das habsburgische Vielvölkerreich. Fünf Jahre später wird ihr Gatte zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Von da an führt sie den Titel „Römische Kaiserin“.

Es sind unruhige Zeiten. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt muss Maria Theresia sich dem Österreichischen Erbfolgekrieg stellen. Der Krieg wird acht Jahre dauern, Österreich am Ende Grafschaften und Herzogtümer verlieren. Kriegsglück ist der jungen Monarchin nicht beschieden. Um ihre Position zu stärken, setzt Maria Theresia innenpolitische Reformen um: Sie modernisiert den Staat im großen Stil, führt die Schulpflicht ein, verbessert die Lage der Bauern und schafft die Folter ab.

Auch das Militär kommt nicht zu kurz. Die bitteren Erfahrungen der militärischen Niederlagen lehren die Kaiserin, hier aktiv zu werden. In Wiener Neustadt gründet sie die Militärakademie, die heute noch als „Theresianum“ den Führungskader des österreichischen Militärs ausbildet. Das Heereswesen erfährt eine gründliche Neuordnung. Die militärische Infrastruktur rückt ebenfalls in den Fokus. Und damit wird wieder eine Frau das Schicksal von Scharnitz maßgeblich bestimmen.

In den 1760er-Jahren beschließt Maria Theresia, die zerstörte Schanze in Scharnitz reparieren, ausbauen und verstärken zu lassen. Die schweren Schäden hier drängen zum Handeln. Doch wie schon Claudia de’ Medici stellt sich auch Maria Theresia das bekannte Problem des Grenzverlaufs: Die Wehranlage in Scharnitz steht nicht in Tirol, sondern auf Freisinger Grund.

Die Kaiserin ist allerdings bereits darin geübt, das Gebiet ihres Reiches auf diplomatischem Wege und durch Verhandlungen zu erweitern. Im Grenzproblem mit Freising bietet sich zudem eine günstige Gelegenheit: 1763 wird Clemens von Sachsen Fürstbischof von Freising und Regensburg. Als Prinz von Polen und Sachsen war er zuvor im österreichischen Kriegsdienst in Wien. Daraus ist Clemens wegen seiner schlechten Gesundheit ausgeschieden und in den geistlichen Stand gewechselt. An ihn tritt die Kaiserin nun mit dem Ansinnen heran, den Grenzverlauf bei Scharnitz zu ändern.

Die Verhandlungen zwischen Kaiserin Maria Theresia und Bischof Clemens führen am 28. Mai 1766 zum Abschluss des Karwendel-Vertrages. Darin sind Grenzverschiebungen zwischen dem Fürstbistum Freising und Österreich vorgesehen. Die Grenze zwischen Tirol und Bayern wird von der Isar dorthin verlegt, wo sie im Wesentlichen noch heute verläuft, nämlich am Kamm der nördlichen Karwendelkette und des Wettersteingebirges bis hin zur Zugspitze. Freising tritt das Karwendeltal an Österreich ab.

Im Gegenzug für die Gründe nördlich der Isar erhält Freising die Nord- und Ostseite des Wettersteingebirges. Österreich verzichtet auf seine Rechte am Plattach, auf das Raintal und den Ebenwald.

Durch die neue Grenzziehung steht der Instandsetzung und Verstärkung der Wehranlage in Scharnitz nun nichts mehr im Wege. Sie wird zu einer beeindruckenden Festung ausgebaut.

Der Feind im Inneren

Welche Schäden bewaffnete Feinde anrichten können, hat die Porta Claudia schon erlebt. Auch welche Gefahr Wind und Wetter für sie bedeuten, haben wir erfahren. Doch kann sie vor diesen Gefahren bewahrt werden – ganz im Gegensatz zu einer Gefahr, die von innen kommt und gegen die anzukämpfen unmöglich ist. Denn nun ist es die österreichische Politik, die die Existenz der Porta Claudia bedroht.

Kaiserin Maria Theresia stirbt im November 1780 in Wien. 15 Jahre zuvor hat sie ihren Sohn Joseph zum Nachfolger bestimmt; als Kaiser Joseph II. ist er bereits zu ihren Lebzeiten ihr Mitregent. Joseph II. geht als ehrgeiziger Reformer in die Geschichte ein. Er vertritt den aufgeklärten Absolutismus und will die Macht des Adels und des Klerus zurückdrängen. Besonders die katholische Kirche hat bei ihm einen schweren Stand: Ihren „Konkurrenten“, den Juden und Protestanten, sichert der Kaiser die freie Religionsausübung zu, zugleich lässt er katholische Kirchen und Klöster schließen. Joseph ist der Auffassung, dass nur volkswirtschaftlich relevante Einrichtungen eine Berechtigung haben: Klöster, die sich nicht der Erziehung, der Krankenpflege oder anderen sozialen Aufgaben verschrieben haben, werden aufgelöst.

Der Kaiser setzt zahlreiche Reformen um: Er schafft die Todesstrafe ab, die Verurteilten sollen dem Staat mit Zwangsarbeit dienen. 1781 hebt er die Leibeigenschaft auf und erfährt als Befreier der Bauern große Popularität. Darüber hinaus wird das noch heute als „Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch“ gültige „Josephinische Gesetzbuch“ eingeführt.

Sein Reformeifer konzentrierte sich besonders auf Bereiche, in denen Joseph II. Geldverschwendung ortet. So haben Verteidigungsanlagen wie die Porta Claudia für ihn keinen Sinn. Nach dem Tod des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph 1777 versucht Joseph II. nämlich, Bayern an Österreich anzuschließen. Er sieht dies als Entschädigung für Gebietsabtretungen in den Niederlanden. Sein Anschlussversuch scheitert jedoch, und im folgenden Bayerischen Erbfolgekrieg stehen sich erneut Österreich und Preußen gegenüber. Nach dem Frieden von Teschen 1779 verfolgt Joseph II. sein Ziel aber weiter und setzt sechs Jahre später die zweite große Initiative für einen Gebietstausch Bayern gegen die Österreichischen Niederlande. Doch auch jetzt will der preußische König Friedrich II. nichts davon wissen.

Weil der Kaiser also über Jahre an seinem Glauben festhält, Bayern eingliedern zu können, sieht er im Erhalt einer Grenzbefestigungsanlage in Scharnitz keinen Sinn. Joseph II. lässt alle nicht mehr benötigten Tiroler Festungen versteigern. Was nicht als Ganzes verkauft werden kann, wird abgebaut und in Einzelteilen zu Geld gemacht.

Dieses Schicksal ereilt 1782 auch die Porta Claudia. Verkaufslisten liegen bis heute auf: So kostet ein Wachhaus 120 Gulden. Dächer, Öfen, Nägel und andere Eisenteile sind bei der Bevölkerung beliebt, und der Verkauf spült frisches Geld in die Staatskasse. Nichts bleibt verschont.

Nach der Demontage der Porta Claudia sind ihre Überreste schutzlos der Witterung ausgeliefert. Ist die nächste Katastrophe nun unvermeidlich? Denn schon bald droht der nächste Krieg.

Die Koalitionskriege

Europa lernt einen neuen Namen fürchten: Napoleon Bonaparte. Frankreich schickt sich an, bald den ganzen Kontinent zu kontrollieren. Als Napoleon1796 von Mantua aus einen Appell an die Tiroler richtet, dass sie seinen Durchmarsch nach Osten nicht behindern sollen, sind diese alarmiert.

Die Tiroler verstehen die Botschaft Napoleons als arrogante und provokative Drohung: Sollten sie Frankreich Widerstand leisten und den französischen Feldherrn am Durchmarsch Richtung Osten hindern, werde auch Tirol angegriffen. Sie tragen dem Willen Napoleons nicht Rechnung. Wenn die Franzosen von Süden nach Tirol vorstoßen, gibt es Krieg.

Die Tiroler organisieren sich und machen sich auch daran, ihre Grenzbefestigungen in Ordnung zu bringen. Hier rächt sich jedoch die Politik von Joseph II. Tirol ist gezwungen, Festungsanlagen vom Haus Habsburg zurückzukaufen –darunter die Festung Scharnitz und die Leutascher Schanze. Aufwendig werden beide in Stand gesetzt. Neubauten und Erweiterung kosten rund 163.000 Gulden. Die zunehmende Gefahr, dass der Krieg bis nach Scharnitz kommt, lässt die Porta Claudia zum größten Umfang ihrer Geschichte anwachsen. So fühlt man sich im Norden Tirols bereit, einen Angriff abwehren zu können.

Im Frühling 1800 überqueren die Franzosen unter General Lecourbe über die Schweiz den Rhein und drängen die österreichischen Truppen in den Ammergau, nach Ettal und Mittenwald, zurück. Daraufhin wird das Hauptverpflegungsamt des kaiserlichen Heeres in Seefeld eingerichtet. Um den Österreichern bei ihrem Rückzug Deckung geben zu können, versetzen die Tiroler die Leutascher Schanze und die Festung Scharnitz in Alarmbereitschaft. Am 17. Mai erwarten hier 435 Männer die kaiserlichen Truppen unter General Kray. Drei Tage darauf kommen über Garmisch und Partenkirchen auch Slavonier und Kanoniere nach Mittenwald. Mit diesem allgemeinen Rückzug versammeln sich bis Ende Mai insgesamt 2.300 Soldaten in Scharnitz. Aber die Franzosen verfolgen sie nicht, sie sind andernorts in Kämpfe verwickelt.

Im Herbst scheint der Angriff auf Scharnitz allerdings unmittelbar bevorstehen. Die französischen Strategen stellen 6.000 Soldaten zum Sturm der Festung auf. Doch wieder verhindern Gefechte an anderen Fronten den Ansturm. Frankreich wie Österreich konzentrieren ihre Kräfte dort. Die Schlacht von Hohenlinden am 3. Dezember bringt die Entscheidung. Sie kostet 12.000 Österreichern das Leben. Damit ist die kaiserliche Armee vernichtend geschlagen und muss kapitulieren.

Noch im selben Monat schließen Frankreich und Österreich einen Waffenstillstand, der Tirol de facto unter französische Besatzung stellt. Im Jänner 1801 rücken französische Militärs in Scharnitz ein. Beeindruckt von der Verteidigungsfestung lassen die Offiziere Lagepläne der Wehranlage anfertigen und Baupläne abzeichnen. Lange bleiben die Franzosen aber nicht. Nach dem Friedensschluss von Lunéville müssen sich sowohl sie als auch die österreichischen Truppen komplett aus Tirol zurückziehen: Am 12. April 1801 verlassen die Franzosen Scharnitz.

Eineinhalb Jahre später brechen neuerlich Kämpfe zwischen Österreich und Frankreich aus. Wieder wird Bayern zum Schlachtfeld. Tirol bleibt davon zwei Jahre verschont, ehe bei erneuten Kämpfen im Herbst 1805 der Frontverlauf bis an seine Grenze rückt und der Krieg nach Mittenwald und Scharnitz zurückkehrt.

Die letzte Schlacht

1805 bringt der dritte Koalitionskrieg neue Allianzen hervor: Bayern und Württemberg sind nun mit Frankreich verbündet. Österreich ist durch eine bittere Niederlage militärisch geschwächt und muss seine Truppen zusammenziehen. Tirol wird sich selbst überlassen. Ein schwerer Fehler, vermuten Franzosen und Bayern, die ihre Chance gekommen sehen, das Land einzunehmen.

Am 4. November 1805 finden hier auf diesem Boden und an der Leutascher Schanze die schwersten Kämpfe zwischen den französisch-bayerischen Truppen und den Tirolern statt. Während bei der Porta Claudia rund 900 Männer unter dem Kommando von Oberstleutnant Robert von Swinburne stehen, rücken zehn Mal so viele Bayern und Franzosen unter der Führung von Marschall Ney gegen Scharnitz vor. Trotz dieser erheblichen militärischen Unterlegenheit schaffen es die Tiroler aber, die Einnahme der Porta Claudia abzuwehren. 1.800 französische Soldaten und einhundert Tiroler lassen bei dem Kampf jedoch ihr Leben.

Wie beim „Bayerischen Rummel“ hundert Jahre zuvor greifen die Franzosen nun auf die Strategie zurück, die Schleichwege um die Porta Claudia zu nutzen. Wieder ist es ein Einheimischer aus Mittenwald, der sie über einen Bergweg über die Grenze führt. Damit umgehen Teile des französischen Heeres die Festung und greifen sie von hinten an. Die Tiroler sind jetzt eingekesselt, sie müssen kapitulieren. Der Weg, den die Franzosen diesmal genommen haben, ist bis heute als „Franzosensteig“ bekannt.

Der Fall der Porta Claudia hat schwerwiegende Folgen für gesamt Tirol. Marschall Ney rückt über Seefeld hinunter ins Inntal vor und marschiert am 5. November 1805 in Innsbruck ein. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Am 2. Dezember verliert Österreich die Schlacht bei Austerlitz und muss im Frieden von Pressburg Tirol an Bayern abtreten.

Nun zeigt sich, dass Napoleon die militärischen Demütigungen durch die Tiroler nicht vergessen hat. Tirol soll zerschlagen werden. Der Name wird verboten, das Land in die drei bayerischen Verwaltungskreise Inn, Etsch und Eisack gegliedert. Der Landtag wird aufgelöst.

Auch vor der Porta Claudia machen die Besatzer nicht halt. Sie soll als Bollwerk und Symbol des Tiroler Widerstandes dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Bayern sprengen und schleifen die Festung. Der Schaden ist weitaus größer als beim „Bayerischen Rummel“ hundert Jahre zuvor.

Scharnitz ist Besetzt

In den Jahren der französisch-bayerischen Besetzung Tirols sind Repressalien gegen seine Bevölkerung an der Tagesordnung. Der französische Befehl, 1.000 Tiroler zum Kriegsdienst in die französische Armee einzuziehen, ist nach vier Jahren der Unterdrückung allerdings der Tropfen, der für die Bevölkerung das Fass zum Überlaufen bringt.

1809 wollen die Machthaber mit hundert bayerischen Soldaten eine Rekrutierung in Axams erzwingen. Aber eine heimlich zusammengestellte Einheit des Landsturms nimmt sie gefangen. Daraufhin erhebt sich die Bevölkerung im ganzen Land gegen die Besatzer. Unter französischem Kommando schlagen bayerische Soldaten mehrere Aufstände nieder. Doch die Tiroler sind gut organisiert, und ab April können sie erste Siege gegen die Bayern verbuchen.

Um die Aufständischen zu bezwingen, wird Graf Arco mit 300 Männern von Bayern Richtung Innsbruck abkommandiert. Im Mai besetzen sie Scharnitz, halten dem Tiroler Landsturm aber nur einen Tag stand und müssen sich nach Mittenwald zurückziehen. Der Landsturm versucht mehrfach, die Bayern dort anzugreifen, doch schließlich gelingt es diesen, die Festungsruine und damit Scharnitz in einer Gegenoffensive zurückzuerobern. Um die Aufständischen zu bestrafen, wird das Dorf Ende Mai niedergebrannt.

Nach der dritten Bergisel-Schlacht im August 1809 müssen sich die bayerischen Besatzer aber allerorts zurückziehen und räumen auch Scharnitz. Die Tiroler versuchen sogleich, die Grenze neuerlich zu befestigen und sich in den Ruinen der Porta Claudia festzusetzen. Doch die napoleonischen Truppen schlagen noch einmal zurück. Am 25. Oktober überrennen sie die Scharnitzer Befestigung, plündern das Dorf und stecken es ein weiteres Mal in Brand.

Dieser Schlag im Oktober 1809 wird in diesem Krieg das letzte Mal sein, dass um die Porta Claudia Blut vergossen wird. Doch für Tirol ist der Kampf noch nicht vorbei.

Das 19. Jahrhundert

Die vierte Bergisel-Schlacht am 1. November 1809 verlieren die Tiroler. Das Land kommt unter französisch-bayerische Besetzung und wird vollständig unterworfen. Die letzten Grenzverteidigungsanlagen müssen die Tiroler räumen. Was noch an Mauern und Befestigungen übrig ist, wird geschliffen. Die Leutascher Schanze und die Porta Claudia haben damit ihr letztes Kapitel als Verteidigungsanlagen hinter sich gebracht.

Tirol bleibt über Jahre besetzt. Nach einer Niederlage Napoleons 1812 wechseln die Bayern auf die Seite Österreichs. Im August 1813 eröffnen die Verbündeten einen weiteren Krieg gegen Napoleon. Am 3. Juni 1814 wird Tirol wieder mit Österreich vereint.

Das Ende der bayerischen Besatzung in Tirol ermöglicht, dass im 19. Jahrhundert in beiden Ländern ein neues Kapitel aufgeschlagen wird, jenes der guten Nachbarschaft. Doch gerade in Grenzregionen wie hier im Werdenfelser Land oder auf dem Seefelder Plateau haben die historischen Ereignisse Wunden geschlagen, die erst über Generationen verheilen werden.

Nach der endgültigen Niederlage Napoleons 1815 wollen die europäischen Mächte die Ordnung auf dem Kontinent wiederherstellen. Sie schaffen neue Staaten, kehren aber auch zu alten Grenzen zurück. Das Königreich Bayern bildet fortan mit den anderen deutschen Staaten den Deutschen Bund. Drei deutsche Einigungskriege führen schließlich 1871 zur Gründung des Deutschen Reiches, zu dem als Bundesstaat auch Bayern gehört. Das Königreich behält jedoch zahlreiche Kompetenzen in eigener Verantwortung.

Für Tirol ist im 19. Jahrhundert das Jahr 1804 von wesentlicher Bedeutung. Mit Vorarlberg wird es zum Kronland des Kaisertums Österreich. Wegen der französisch-bayerischen Besetzung verschwindet diese „Gefürstete Grafschaft Tirol mit dem Lande Vorarlberg“ zwar bereits nach einem Jahr von der Landkarte. Mit dem Ende der Napoleonischen Herrschaft 1814 wird sie jedoch auf der rechtlichen Grundlage von 1804 wiederhergestellt. 1861 wird Vorarlberg schließlich ein eigenes Kronland.

Nach der bürgerlichen Revolution 1848/49 hat der Kaiser verschiedene staatspolitische Reformen und Verfassungsänderungen umsetzen müssen. 1867 entsteht mit dem so genannten politischen Ausgleich aus dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Ungarn die Doppelmonarchie. Tirol bleibt Teil der österreichischen Reichshälfte, der so genannten Königreichen und Ländern.

Im Jahr 1879 schließen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich ein Verteidigungsbündnis, den „Zweibund“. Als Bündnispartner spielen die Grenzen zwischen den beiden Staaten militärisch keine Rolle mehr. Anders als im Zweiten Weltkrieg wird im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 die bayerisch-tirolerische Grenze deshalb auch nie zur Front.

Die 1.000-Mark-Sperre

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchen Deutschland und Österreich wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Doch die politischen Verwerfungen machen es ihnen schwer. Hohe Arbeitslosigkeit und weit verbreitete Armut lassen in Deutschland die politischen Ränder erstarken. Nach dem Sieg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im März 1933 ergreift Adolf Hitler die Macht. In Deutschland beginnt damit die Schreckensherrschaft der NSDAP. Außenpolitisch schlägt das Regime einen aggressiven und radikalen Kurs ein.

Mit der so genannten Tausend-Mark-Sperre bekommt Österreich diesen zu spüren: Deutsche Staatsangehörige müssen 1.000 Reichsmark, heute etwa 4.300 Euro, bezahlen, wenn sie nach Österreich reisen; ausgenommen ist nur der kleine Grenzverkehr. Auslöser für die Maßnahme ist die zunehmende Rivalität zwischen dem Nazi-Regime unter Adolf Hitler und dem katholisch-diktatorischen Ständestaat in Österreich.

Kurz nach dem Sieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1933 hat der Nationalsozialist und spätere bayerische Justizminister Hans Frank im Bayerischen Rundfunk eine Grußbotschaft an seine „unterdrückten Volksgenossen in Österreich“ gesendet: Die NSDAP werde „die Sicherung der Freiheit der deutschen Volksgenossen in Österreich übernehmen“. Die österreichische Regierung hat gegen seine Botschaft offiziell protestiert, jedoch ergebnislos.

Im Mai reist Frank mit dem preußischen Justizminister Hanns Kerrl und seinem Stellvertreter Roland Freisler nach Wien und betreibt dort nationalsozialistische Propaganda. Daraufhin erklärt der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß Frank zur unerwünschten Person und lässt ihn ausweisen. Seine Bundesregierung beschließt, dass NS-Minister in Österreich fortan generell nicht willkommen sind.

Als Reaktion darauf verhängt Hitler am 27. Mai 1933 die Tausend-Mark-Sperre, mit der das Nachbarland besonders im Tourismus getroffen wird. Österreich soll wirtschaftlich in die Knie gezwungen und „anschlussreif“ gemacht werden. Gerade in Tirol ist der Fremdenverkehr schon damals ein wichtiger Wirtschaftszweig. Die Summe von 1.000 Reichsmark, die an der Grenze hinterlegt werden müssen, können viele Deutsche kaum aufbringen.

Die österreichische Bundesregierung reagiert ihrerseits auf die Tausend-Mark-Sperre: Nach einer nationalsozialistischen Terrorwelle wird die NSDAP am 19. Juni 1933 im Land verboten. Zugleich bemüht sich Österreich um Entspannung. Es nähert sich dem faschistischen Italien an, auch um über die Beziehung Mussolini-Hitler von der 1.000-Mark-Sperre befreit zu werden. Tatsächlich verbessern sich die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich in Folge etwas.

Österreich ist bald zu Konzessionen bereit. So werden inhaftierte Nationalsozialisten amnestiert und zwei NS-Vertrauensleuten in die Bundesregierung aufgenommen. Hitler hebt die Tausend-Mark-Sperre drei Jahre nach ihrer Einführung auf.

Das Ziel Hitler-Deutschlands, Österreich „anschlussreif“ zu machen, bleibt jedoch aufrecht und wird 1938 Wirklichkeit.

1938: Österreich wird "angeschlossen"

1938 überschlagen sich für Österreich die Ereignisse. Im Februar trefft sich Hitler in Berchtesgaden mit dem österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Hitler setzt Schuschnigg unter Druck: Der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart soll in die österreichische Regierung berufen und weitere Nationalsozialisten in den Bundespressedienst aufgenommen werden. Schuschnigg fügt sich widerstrebend.

In Tirol legt der Landtag am 3. März ein feierliches Bekenntnis zu einem freien und unabhängigen Österreich ab. Auf der Straße demonstrieren gleichzeitig Nationalsozialisten für den Anschluss Österreichs an Deutschland.

Einige Tage darauf ruft Schuschnigg in Innsbruck eine Volksbefragung für den 13.März aus, bei der die Wahlberechtigten für ein freies Österreich stimmen sollen. Nachdem auch die Sozialisten empfehlen, dabei für Österreich zu votieren, wird mit 70 Prozent Zustimmung gerechnet.

Hitler sieht in dieser Volksbefragung einen Bruch des Berchtesgadener Abkommens und verlangt ihre Absage. Im Hintergrund lässt er den militärischen Einmarsch vorbereiten.

Auf Druck aus Berlin und aus Angst vor einem Militärschlag tritt Schuschnigg am 11. März als Bundeskanzler zurück. Der Nationalsozialist Seyß-Inquart wird neuer Bundeskanzler.

Noch am selben Tag erteilt Hitler der Wehrmacht den Befehl zum Einmarsch in Österreich. Am Morgen des 12. März überschreiten deutsche Soldaten auch die Grenze in Scharnitz. Sie montieren die Grenzschilder ab und ziehen weiter nach Innsbruck, ohne auf ihrem Weg auf Widerstand zu stoßen. Tags darauf vereinbaren Hitler und Seyß-Inquart das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, das sogleich in Kraft tritt.

Unter der NS-Herrschaft gehört Tirol zum Gau Tirol-Vorarlberg. Gauleiter ist Franz Hofer. Als Italien 1943 das Bündnis mit dem Deutschen Reich verlässt, wird Hofer Oberster Kommissar in der „Operationszone Alpenvorland“, die neben dem Gau Tirol-Vorarlberg auch Südtirol, das Trentino und die Provinz Belluno umfasst.

1944 kursieren von der NS-Propaganda geschürte Gerüchte um eine Alpenfestung. Im November beantragt Franz Hofer Vollmachten zum Bau einer solchen „letzten Bastion des Dritten Reiches“. Im Jänner 1945 genehmigt Hitler die Pläne Hofers und ernennt ihn am 29. April zum Reichsverteidigungskommissar der Alpenfestung. Einen Tag später bringt Hitler sich in seinem Bunker um.

Es wird berichtet, dass zu Hofers Plänen der Alpenfestung auch ein Militärbau im Karwendel, Richtung Eppzirl, gehört habe.

1945: Letztmalig Front

Ende April 1945 werden in Scharnitz Panzersperren errichtet, die die heranrückenden alliierten Streitkräfte aufhalten sollen.

In Ostösterreich haben die Alliierten bereits die Kontrolle übernommen, in Tirol koordiniert Karl Gruber, später Außenminister, die Widerstandsgruppen gegen die Nationalsozialisten. Ihnen gelingt es, die Angehörigen der Wehrmacht in Innsbruck unblutig zu entwaffnen. Widerständige besetzen auch das Landhaus, aus dem Gauleiter Hofer und sein Stab zuvor geflüchtet sind. Als die amerikanischen Truppen Innsbruck erreichen, empfängt die Stadt sie mit rot-weiß-roten Flaggen. Am 3. Mai 1945 ist Innsbruck frei.

Mit der Wiederherstellung Österreichs und des Bundeslandes Tirols beginnen die langen und schwierigen Nachkriegsjahre. Tirol ist unter französischer Besatzung. 1955 erlangt Österreich seine volle Souveränität zurück. Mit dem einsetzenden Wirtschaftsaufschwung wird der Tourismus für die Region am Seefelder Plateau immer wichtiger.

Bis 1995 ist die Grenze für die Menschen hier Teil ihres Lebens. Es kursieren zahlreiche Geschichten rund um die Schmuggelei und Anekdoten aus dem Arbeitsalltag der Zollwachebeamten in Scharnitz.

Bilder von Scharnitz aus dieser Zeit zeigen uns, wie das Dorf sich nach 1945 entwickelt hat: wo etwa Tankstellen gebaut und wieder abgebaut und erneut gebaut wurden; wie Läden ihr Äußeres verändert haben; dass das Gemeindeamt damals im Volksschulhaus war. Durch natürlichen Zuzug und auch mit dem Bau von Dienstwohnungen für Bahn- und Zollbeamte vergrößert sich die Bevölkerung. Viele Menschen finden in Scharnitz eine neue Heimat.

Nach dem Krieg: Die Zollwache

In den ersten Jahren nach dem Krieg gibt es zwischen Österreich und Deutschland wenige grenzüberschreitende Verbindungen. Erst mit einiger Verzögerung werden Telefonleitungen zwischen den Ländern wieder hergestellt und der Briefverkehr uneingeschränkt möglich. Beide sind in Besatzungszonen unterteilt. Mit dem Grundgesetz 1949 wird die Bundesrepublik Deutschland, die BRD, aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges geschaffen, ein Bundesstaat, der vollständig in die westliche Staatengemeinschaft integriert wird. Im Osten des ehemaligen Deutschen Reiches werden Pommern, Schlesien und Ostpreußen von Polen oder der Sowjetunion annektiert, das Gebiet des heutigen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg, Vorpommern und Thüringen wird zum eigenständigen kommunistischen Satellitenstaat der Deutschen Demokratischen Republik, DDR.

Die Grenze zwischen der BRD und Österreich wird wieder dort gezogen, wo sie bis 1938 war. Es ist der Grenzverlauf, wie ihn Maria Theresia im Karwendel-Vertrag mit Freising vereinbart hat. Da die Vermessungstechnik aber mittlerweile präziser ist, definiert eine Kommission ab 1952 jede Grenzlinie zwischen der BRD und Österreich neu. 1975 legen die beiden Länder ihre Grenze in einem Staatsvertrag schließlich endgültig fest.

In den Nachkriegsjahren sorgt die Westintegration der BRD für eine beispiellose Erfolgsgeschichte des wirtschaftlichen Aufbaus und Aufschwungs. Als Wirtschaftsmacht in Europa steht die Bundesrepublik auch mit Österreich, das die Alliierten bis 1955 besetzt halten, wieder im regen Handel. Der ist jedoch nicht frei wie heute. An den Grenzen werden Zollwacheämter errichtet. Sehr genau kontrollieren die Beamten die Menschen, die über die Grenze wollen, und die Waren, die über die Grenze sollen. Allerdings etabliert sich durch die Zollbestimmungen hier im Grenzgebiet bald eine rege Schmuggler-Kultur, von der ehemalige Zollwachebeamte noch heute anekdotenreich erzählen können.

Auf österreichischer Seite wird das Zollamt dort eingerichtet, wo einst die Torbastion der Porta Claudia war. Die Mittenwalder Zöllner haben ihre Wachstuben nahe der Grenze zu Scharnitz.

Die österreichischen Zollwachebeamten tragen eine graue Uniform. Die Grenze ist in Kontrollabschnitte gegliedert, allem steht ein Kontrollabschnittsleiter vor. 1947 wird der Zollwachdienst neu organisiert: Die Kontrollabschnitte werden zu Zollwachabteilungsinspektoraten. Zu den Aufgaben des Leiters eines Inspektorats gehört auch der ständige Kontakt zum Bürgermeister und der Bezirkshauptmannschaft.

Durch die europäische Integration ab den 1990er-Jahren, Zollabkommen, den EU-Beitritt Österreichs und Schengen enden die Grenzkontrollen schließlich. Die Aufgaben für die Zollwache ändern und entwickeln sich jedoch stetig weiter.

1995: Österreich tritt der EU bei

Österreich ist seit 1960 Mitglied der EFTA, der Europäischen Freihandelszone. Ab 1989 wird darüber hinaus offensiv über einen Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften diskutiert, die mit dem Vertrag von Maastricht einige Jahre später in die Europäische Union münden werden. Im Juni 1989 beschließt der Nationalrat, dass die österreichische Bundesregierung den Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften beantragen möge. Im Juli überreicht Außenminister Alois Mock das österreichische Beitrittsansuchen dem französischen Außenminister Roland Dumas, der gerade den Ratsvorsitz innehat. Zwei Jahre später nimmt die EG dazu positiv Stellung.

In dieser Zeit verändern sich die Europäischen Gemeinschaften aber auch selbst. Ab 1992/93 gilt der Vertrag von Maastricht, mit dem aus ihnen die Europäische Union wird. Österreich legt auf dem Weg in die EU einen Zwischenschritt ein. 1994 wird es Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum, der eine Freihandelszone zwischen EU und EFTA ist und medial als „Vorhof der EU“ gilt.

Nach herausfordernden Verhandlungen zwischen der EG und Österreich steht der Beitrittsvertrag schließlich. Nun ist die österreichische Bevölkerung am Wort. Am 12. Juni 1994 stimmen die Wahlberechtigten mit einer klaren Mehrheit von 66,6 Prozent dafür. Am 1. Jänner 1995 tritt Österreich der Europäischen Union bei.

Es ist das Ende der Zollkontrollen an den Grenzen zu den EU-Nachbarstaaten. Die Kontrolle der Menschen bleibt aber noch aufrecht. Der freie Personenverkehr ist in einem eigenen Vertrag geregelt, dem Schengener Abkommen. Es wurde 1985 vereinbart, damals haben dem Schengen-Raum lediglich fünf EG-Mitglieder angehört.

Österreich unterzeichnet das Schengener Abkommen am 28. April 1995. Aber erst Jahre später, am 1. Dezember 1997, fallen die Kontrollen an den österreichischen EU-Innengrenzen weg. Insgesamt zieht sich das Ende der Grenzkontrollen bis April 1998 hin.

Als Schengen-Staat braucht Österreich seine Zollanlagen nun nicht mehr. Wachhäuschen werden abgebaut oder niedergerissen. Die Zollgebäude verkauft der Bund. Ziel ist es, keine Balken oder Zollhäuschen, keine sichtbaren Grenzen mehr zu haben.

Nach dem Schengen-Beitritt

Trotzdem die EU-Binnengrenzen mit dem Beitritt zum Schengener Abkommen weggefallen sind, kontrollieren Exekutivorgane auch noch nach 1998 die Grenze zwischen Tirol und Bayern. In Ausnahmesituationen dürfen Schengen-Mitglieder Personenkontrollen an den Grenzen durchführen. Besondere Veranstaltungen, wie Sportereignisse oder politische Gipfeltreffen, erfordern höhere Sicherheitsvorkehrungen. Doch auch Ereignisse wie die große Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 lassen die Politik ihre Ländergrenzen und die Menschen, die sie überqueren, stärker kontrollieren.

Das in jüngster Zeit größte Aufgebot an Sicherheitskräften an der Grenze zwischen Mittenwald und Scharnitz gibt es 2015 rund um den G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Die beiden Mittenwalder Fabian Rössler und Peter Reindl haben den Gipfel fotodokumentarisch begleitet.

Ausblick: Potenzial Europa

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts gründen engagierte Gemeindemitglieder über die Grenze hinweg Initiativen, deren Mitglieder die Wehrruine als kulturelles Erbe betrachten und ihren touristischen Wert sehen. Vielerorts führt der Tourismusboom im 20. Jahrhundert dazu, dass kulturell interessierte Gäste aus den verschiedensten Ländern mehr über Ruinen, alte Burgen und Schlösser wissen möchten. Schließlich wird bekannt, dass es auch in Scharnitz Ruinen gibt, die anzusehen sich lohne.

Mit Norbert Goldschmid hat sich ein kenntnisreicher Einheimischer gefunden, der Besucherinnen und Besucher zur Ruine Porta Claudia führt. Er ist einer der Pioniere, die sich dafür eingesetzt haben, die Porta Claudia Interessierten zugänglich zu machen und ihnen ihre Geschichte zu erzählen. Auch in der Gemeinde Scharnitz setzt sich mit der Zeit die Auffassung durch, dass die Porta Claudia kein bloßer „Steinehaufen“ ist, sondern ein Zeugnis der Tiroler Landesgeschichte. So wird in den frühen 1980er-Jahren der untere Bereich der Festung saniert und 1984 zum Jubiläum des Tiroler Freiheitskampfes als Teil des Kulturerbes präsentiert.

Von 1986 bis 1992 ist Dr. Reinhold Wöll Bürgermeister von Scharnitz. Auch er versucht Sanierungen an der Porta Claudia zu forcieren. Der Innsbrucker Universitätsprofessor und in Scharnitz lebende Historiker Dr. Fritz Steinegger setzt sich für ein Dorfmuseum ein, in dem besonders der Geschichte der Porta Claudia Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

Doch erst ab 1999 etabliert sich mit dem Kulturverein Scharnitz ein Verein, der die vielen Engagierten für die Sanierung der Porta Claudia vereint. 2004 lanciert der Kulturverein die Idee einer Baustein-Aktion für die Wehrruine. Drei Jahre später übernimmt der damalige Bürgermeister Walter Lechthaler die Vorschläge des Kulturvereins, Teile der Porta Claudia wiederherzustellen und zu bewahren, was noch intakt ist. Der Verein zum Erhalt der Porta Claudia wird gegründet, dem auch der Kulturverein angehört.

Als das Land Tirol 2009 anlässlich der Tiroler Freiheitskämpfe 200 Jahre zuvor ein Gedenkjahr abhält, ist es in Scharnitz die Grenze und ihre Geschichte, die in den Mittelpunkt rückt. In zahlreichen Veranstaltungen werden die Themen „Grenzen überschreiten“, Zusammenleben „ohne Grenzen“ betont und vermittelt. Künstler verarbeiten ihre Gedanken dazu in ihren Werken, eine geschichtliche Ausstellung bringt den Menschen die Vergangenheit näher, Filme und Musik sind als bayerisch-tirolerische Koproduktionen ein lebendiges Zeugnis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Mit Bildung der Städtepartnerschaft zwischen Scharnitz an der Isar-Quelle und Plattling an der Isar-Mündung 2009 vertiefen sich die Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Tirol und Bayern für Scharnitz weiter. Sie sind die Grundlage und ein Beispiel für die Erfolgsgeschichte jener Länder, die sich einst im Krieg begegnet sind und nunmehr in Frieden und Wohlstand gemeinsam in die Zukunft gehen.

Der Kunst- und Kulturverein Scharnitz wird heute von der amtierenden Bürgermeisterin Isabella Blaha geführt. Seine Mitglieder setzen sich beständig für das grenzüberschreitende Projekt der Sanierung und Bewahrung der Porta Claudia als Kulturerbe ein und stellen ihren Einsatz immer wieder mit kleinen Erfolgen und Veranstaltungen unter Beweis.

Politiker, wie der österreichische Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, unterstützen die Bemühungen der Scharnitzer und Mittenwalder Vereine, das Wesen der europäischen Einigung mit Hilfe der Symbolkraft der Porta Claudia zu betonen und dazu hier, zum Beispiel in der Arena, Veranstaltungen auszurichten.