Route ORANGE
1703 - Als die Mauern fielen
Die Porta Claudia: Erbaut als Grenzfestung zum Schutz vor Feinden, die den Krieg nach Tirol tragen wollen. Erbaut im Jahr 1633 unter der Landesfürstin Claudia deʼ Medici. Erbaut zur Abwehr der Schweden, die aus dem Norden kommen und das modernste Heer ihrer Zeit haben. Sie kämpfen im großen und blutigen Krieg, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Leid und Tod über Europa bringt.
Vor ihre Bewährungsprobe wird die Wehranlage allerdings erst hundert Jahre später gestellt. Der Spanische Erbfolgekrieg wird seine Spuren in Scharnitz hinterlassen und hier als „Bayerischer Rummel“ in die Geschichte eingehen.
In Österreich regiert zu dieser Zeit Kaiser Leopold I., ein Habsburger. In Frankreich ist es König Ludwig XIV., ein Bourbone und verheiratet mit Maria Teresa von Spanien. Ihr gemeinsamer Sohn Louis de Bourbon, der vor seinem Vater gestorben ist, hatte einen Sohn, Philipp von Anjou. Er soll nach dem Tod von König Karl II. von Spanien am 1. November 1700 den spanischen Thron erben.
Dies hat der kinderlose Herrscher in seinem Testament verfügt. Allerdings stammt Karl II. selbst aus der spanischen Linie der Habsburger. Angesichts der alten und auch kriegerisch ausgetragenen Rivalität zwischen den Habsburgern und den französischen Bourbonen ist abzusehen, dass die Folge eines Bourbonen auf den Thron eines Habsburgers nicht einfach hingenommen wird.
Der Konflikt ist deshalb besonders heikel, weil er die strategische Lage in Europa betrifft: Ein Habsburger als König in Spanien und ein Habsburger als römisch-deutscher Kaiser können Frankreich und damit die Bourbonen im Falle eines neuerlichen Krieges in die Zange nehmen. Mit einem Bourbonen auf dem spanischen Thron wäre Frankreich strategisch also in einer besseren Position – und es bescherte dem Königshaus eine Vergrößerung seiner Macht.
Diese Aussichten veranlassen allerdings eine Reihe europäischer Länder unter der Führung des Habsburgers Leopold I. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Einspruch gegen die Thronbesteigung des Bourbonen Philipp zu erheben. Ihre Begründung: Seine Großmutter Maria Teresa habe bei ihrer Heirat mit Ludwig XIV. auf ihr spanisches Erbe verzichtet. Frankreich hält dagegen: Der Verzicht sei mit einem Heiratsvertrag geregelt, in welchem als Gegenleistung die Zahlung einer halben Million Gold-Ecu vereinbart war. Die Zahlung sei aber nie erfolgt, der Verzicht damit gegenstandslos.
In diesem Streit um den spanischen Thron hat es neben dem Bourbonen Philipp und dem Habsburger Erzherzog Karl zunächst noch einen dritten Kandidaten gegeben. England wollte verhindern, dass Spanien und dessen Kolonien in Übersee an Österreich oder Frankreich fallen. Deshalb hat es versucht, den spanischen König davon zu überzeugen, den bayerischen Kurprinzen Joseph Ferdinand zum Erben zu ernennen. Doch der unerwartete Tod des siebenjährigen Kurprinzen im Jahr 1699 hat den Plan der Engländer zunichte gemacht.
Diese Gemengelage führt schließlich zur Eskalation des Krieges.
Der spanische Erbfolgekrieg
In diesem Krieg stehen England und die Niederlande an der Seite Österreichs, gemeinsam Gründer der Haager Großen Allianz. Mit Frankreich verbünden sich Savoyen, das Kurfürstentum Bayern, später auch Siebenbürgen und ungarische Adelige, die ihrerseits eine Chance wittern, sich an einem Aufstand gegen die Habsburger zu beteiligen.
Bayern wird von Kurfürst Max II. Emanuel regiert, einem Mann, der bis zu diesem Konflikt auf Seiten Habsburgs war. Im Großen Türkenkrieg ist er als Feldherr im Dienste des Kaisers gestanden, seit 1692 ist er unter den Habsburgern Generalstatthalter der Spanischen Niederlande. Dort hat er für das österreichische Herrscherhaus gekämpft, dessen Interessen im Pfälzischen Erbfolgekrieg vertreten und sogar bayerische Finanzmittel in den Spanischen Niederlanden investiert.
Der Tod seines erst sieben Jahre alten Sohnes 1699 hinterlässt aber Spuren bei Max II. Emanuel. Hat er seinen Sohn und damit seine Familie schon als Herrscher über Spanien gesehen, so sind diese Träume nun mit dem Kurprinzen begraben. Im aufkommenden Streit zwischen den Habsburgern und den Bourbonen trifft Max II. Emanuel eine Entscheidung: Um selbst zumindest einen Teil des spanischen Gebietes zu erhalten, verbündet er sich 1701 mit den Franzosen, gegen die er noch wenige Jahre zuvor Krieg geführt hat.
Nach diesem Pakt mit Frankreich kehrt Max II. Emanuel von den Niederlanden nach Bayern zurück. Hier stellt er ein 27.000 Soldaten starkes Heer gegen Österreich auf.
Der Krieg bricht im Juli 1701 mit dem Angriff der Truppen Prinz Eugens von Savoyen auf die Franzosen aus. Italien, Deutschland und Spanien werden zu seinen Schlachtfeldern. Die Franzosen übernehmen von Süden her Gebiete in Italien. Sie haben den Plan, nach Tirol vorzustoßen, um sich hier mit den Bayern zu vereinen und dann nach Osten Richtung Wien zu ziehen. Zwei Jahre nach seinem Ausbruch erreicht der Krieg damit auch Tirol.
Der Krieg in Tirol und Bayern
Max II. Emanuel von Bayern hat die Franzosen bislang nur indirekt unterstützt: Er hat ihnen Festungen in den Spanischen Niederlanden zur Verfügung gestellt und seine Soldaten gegen Truppen süddeutscher Adeliger auf Seiten des Kaisers aufmarschieren lassen, die von Bayern aus Krieg gegen Frankreich führen wollten.
Erst 1703 tritt der Kürfürst offen auf Seiten Frankreichs in den Krieg ein. Im Jahr zuvor hat der französische Marschall Vendôme die Truppen Prinz Eugens im Nordwesten Italiens zurückgedrängt. Der Savoyer wird kurz darauf nach Wien abberufen, um dort als Präsident des Hofkriegsrates die gesamte Kriegsführung zu leiten. Ohne ihn auf der Gegenseite glaubt sich Frankreich 1703 im Vorteil. Dieser Optimismus veranlasst den verbündeten bayerischen Kurfürsten, seine Truppen Richtung Tirol in Gang zu setzen.
Am 19. Juni 1703 rücken 9.000 bayerische und 2.500 französische Soldaten von Norden gegen Kufstein vor. Die Belagerung währt nur kurz: In der Stadt bricht ein Brand aus, die Pulvervorräte explodieren, Kufstein muss sich ergeben. Max II. Emanuels Armee marschiert weiter durch das Inntal: Wörgl kapituliert, Rattenberg fällt, Innsbruck wird am 25. Juni widerstandslos eingenommen.
Hier will der bayerische Feldherr auf die französischen Truppen aus dem Süden warten, um sich dann gemeinsam nach Osten aufzumachen. Derweil fasst er die Befestigungsanlagen im Norden Tirols ins Auge, die Bayern immer wieder gefährlich worden sind: Fernstein, Ehrenberg, Leutasch und Scharnitz. Die Festungen sind gegen Norden gerichtet, doch nun kommt die bayerische Offensive aus dem Süden. Die Tiroler können den Angreifern rückseitig nichts entgegensetzen. So übernehmen die Bayern die Anlagen ohne große Gegenwehr.
Am 20. Juli hat Marschall Vendôme immer noch nicht Tirol erreicht. So zieht Max II. Emanuel mit seinem Heer selbst Richtung Brenner.
Scharnitz unter Besatzung
Wir haben erfahren, dass die Bayern Scharnitz im Juni 1703 erobert haben, ebenso Leutasch und Ehrenberg. Die Besatzung der Bayern wird aber nicht lange dauern.
In Italien ist Marschall Vendôme auf den Nachfolger Prinz Eugens getroffen: Guido von Starhemberg. Starhemberg erweist sich als fähiger General. Er kann Vendômes Vorstoß Richtung Tirol verhindern und zieht mit seinem Heer Richtung Savoyen, wo er die kaiserlichen Truppen mit denen der Savoyer vereint. Max II. Emanuel, der im Juli 1703 mit seinen Soldaten auf dem Weg zum Brenner ist, wird also keine Unterstützung aus dem Süden erhalten.
Stattdessen trifft der Kurfürst im Wipptal auf Widerstand. Hier hat sich der Tiroler Landsturm organisiert, dem es gelingt, die Bayern zurückzuschlagen. Der Widerstand der Tiroler ist bald flächendeckend. Bei der Martinswand in Zirl kommt es zu schweren Gefechten. Fragenstein fällt, die Bayern brennen das Dorf nieder und ziehen sich weiter nach Seefeld zurück.
Vom Plateau aus versucht der Kurfürst noch ein letztes Mal, Innsbruck zurückzuerobern, doch das Vorhaben scheitert. Am 28. Juli, nur eine Woche nach seinem Rückschlag auf dem Weg zum Brenner, muss Max II. Emanuel seine Truppen nach Mittenwald zurückziehen, nicht ohne zuvor die Pulvermagazine der Tiroler sprengen zu lassen. Das Land samt seiner Festungen ist nun aber wieder in Tiroler Hand.
Derweil ist der österreichische General Heister mit seinen Truppen vom Inntal aus auf dem Weg Richtung München. Dies zwingt den Kurfürsten schließlich, auch Mittenwald zu verlassen. Dass er sein Lager hier aufgeschlagen hat, war für die Mittenwalder keine besondere Ehre: Die Verpflegung der bayerischen Truppen und die von ihnen angerichteten Schäden haben die Marktgemeinde 24.405 Gulden gekostet.
Mit Max II. Emanuels Rückzug Richtung München erhoffen sich die Tiroler, die Gunst der Stunde nutzen zu können. Sie wagen einen Angriff auf Bayern. Mit 11.000 Männern nehmen sie von Scharnitz aus die Verfolgung der bayerischen Truppen auf. Mittenwald wird dabei ihr erstes Opfer: Die Tiroler plündern die Marktgemeinde, verwüsten das Rathaus, richten das Gemeindearchiv arg zu, entwenden oder vernichten Unterlagen und Urkunden. Selbst den Pfarrhof verschonen sie nicht.
Die Tiroler holen den Kurfürsten am 16. August bei der Oberauer Schanze ein. 900 Bayern stellen sich 8.000 Tirolern entgegen. Dieser Überzahl sind die bayerischen Soldaten nicht gewachsen, sie müssen sich nach einigen Stunden des Kampfes ergeben.
Damit ist der „Bayerische Rummel“ in Tirol aber noch nicht vorbei.
Exkurs: Das Tiroler Landlibell
Dass dieser große Krieg in Tirol auf den Sommer 1703 beschränkt bleibt, ist vor allem dem Tiroler Landsturm zu verdanken. Um ihn zu verstehen, gehen wir jetzt etwas weiter in die Geschichte zurück – ins frühe 16. Jahrhundert.
Am 23. Juni 1511 erlässt Kaiser Maximilian I. als Teil der Tiroler Landesverfassung das so genannte Landlibell. Im Einvernehmen mit den Landständen legt er darin fest, dass ohne deren Zustimmung kein Krieg „durch das Land“ zu führen sei, Angriffskriege also nur dann von Tirol ausgehen dürfen, wenn der Landtag dem zustimmt. Die Urkunde ist am Freiheitsbrief von 1406 orientiert, der die Dauer des Kriegsdienstes der Tiroler Stände und die Stärke ihres Aufgebots regelt.
Im Landlibell ist die Struktur der Tiroler Landesverteidigung in zwei Teilen vorgegeben: Sie besteht aus dem Aufgebot, einem von den Gerichten eingeteilten stehenden Heer von 5.000 bis 20.000 Soldaten, und dem Landsturm, der im „Bayerischen Rummel“ 1703 besondere Ehre erlangt. Er wird im Falle einer großen Bedrohung ausgerufen und kommt einer Generalmobilmachung aller wehrfähigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren gleich.
Das Landlibell bleibt im Wesentlichen bis 1918 gültig, wenngleich es auch immer wieder den militärischen und politischen Umständen angepasst wird.
Der Durchmarsch der bayerischen Armee bis ins Wipptal hat den Tirolern 1703 allerdings gezeigt, dass ihre Landesverteidigung für den Ernstfall kaum gewappnet ist. Es mangelt an Kampfausbildung und -erfahrung. Als Konsequenz daraus werden 1704 neben dem Militär die Schützen als eigene Truppe eingeführt. Das Schützenwesen stärkt die Wehrfähigkeit der Tiroler immens. Das wird sich besonders in den Napoleonischen Kriegen hundert Jahre später zeigen, obgleich sich die Tiroler dann der Überlegenheit der französisch-bayerischen Armee werden beugen müssen. In der anschließenden Besatzung durch die Bayern ist das Landlibell vorübergehend – bis zur Wiederherstellung Tirols – außer Kraft gesetzt.
1870 wird in der Habsburgermonarchie die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Sie wirkt sich auf die Tiroler Wehrverfassung insofern aus, dass junge Männer für die Dauer der Wehrpflicht dem Schützenwesen entzogen sind. Mit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie ist auch die Zeit des Tiroler Landlibells vorbei. Das Schützenwesen lebt jedoch weiter. Angesichts der politischen Verhältnisse und sicherheitspolitischen Herausforderungen haben die Schützen heute vor allem die Aufgabe der Repräsentation und der Pflege der Tradition.
Was den Landsturm betrifft, so greift zuletzt das NS-Regime noch einmal auf die Ideen der Tiroler Wehrverfassung zurück. Dem Einberufen von Kindern, Jugendlichen und alten Menschen zum „Deutschen Volkssturm“ liegt eine ähnliche Idee der Generalmobilmachung zugrunde, die in der napoleonischen Zeit auch als „das letzte Aufgebot“ Eingang in die Alltagssprache der Tiroler gefunden hat.
Scharnitz wird zurückerobert
Kurfürst Max II. Emanuel hat sich mit seinen Truppen nach Bayern zurückgezogen. Doch er kann sich mit dem Verlust von Scharnitz und Leutasch nicht abfinden. Dazu bestätigen Berichte, dass General Heister Richtung München vorrückt. Strategisch bleiben ihm zwei Optionen: entweder nach München zu ziehen, die österreichischen Truppen dort zu stellen und den Kampf auf heimischen Boden auszutragen – oder das Überraschungsmoment zu nutzen und Tirol noch einmal zu besetzen, womit die kaiserlichen Truppen gezwungen wären, nach Tirol zurückzukehren, um hier gegen die Bayern zu kämpfen.
Max II. Emanuel entschließt sich, das Unerwartete zu tun: Er führt sein Heer zurück nach Mittenwald. Die Tiroler, die den Ausfall nach Bayern gewagt haben, konnten ihre Grenzbefestigungen noch nicht wieder instand setzen. Nur wenige Kämpfer sind hier geblieben, mit einem Retourmanöver des Kurfürsten hat niemand gerechnet.
Die Eroberung der Porta Claudia und der Leutascher Schanze ist dennoch nicht einfach. Deshalb greifen die Bayern zu einer List. Der Mittenwalder Oberjäger Adam Schöttl kennt einen Weg über die Berge, über den die Soldaten die beiden Befestigungen umgehen können. Der Kurfürst schickt seine Männer mit dem Oberjäger in die Leutasch, und so stehen sie plötzlich hinter der dortigen Schanze. Deren Verteidiger sind gezwungen, sich zu ergeben. Die Leutascher Schanze fällt. Kurz darauf greifen die Bayern die Porta Claudia von hinten an. Auch hier müssen die Tiroler kapitulieren. Zum zweiten Mal in diesem Jahr erweist sich die Rückseite als ihre Schwachstelle. Und Scharnitz ist wieder besetzt.
Doch hat der bayerische Kurfürst offenbar nicht mit der schnellen Reaktion der Österreicher auf sein Manöver gerechnet. In großer Truppenstärke macht die kaiserliche Armee unter General Heister kehrt und eilt Tirol erneut zu Hilfe. In der Chronik lesen wir, dass die Berichte darüber Max II. Emanuel dazu bewegen, die Besatzung rasch aufzugeben und sich mit seinem Heer wieder nach Bayern zurückzuziehen.
Auf der Seite der Bayern hat General Maffei das Kommando. Er ordnet den Rückzug aus Leutasch und Scharnitz an, lässt aber zuvor noch die Wehranlagen sprengen. Wieder soll hier so viel Schaden wie möglich angerichtet werden.
Mit diesem Abzug der Bayern aus Scharnitz und Leutasch ist der Spanische Erbfolgekrieg in Tirol allerdings vorbei. Die Monate der Kämpfe, Eroberungen und Rückeroberungen gehen als „Bayerischer Rummel“ in die Geschichte ein.
General Maffei
Wer ist der Mann, der die Bayern in Tirol kommandiert und beim Rückzug alle Befestigungen zerstören lässt? General Alessandro Maffei, geboren am 3. Oktober 1662, stammt aus Verona. Als Spross eines italienischen Grafengeschlechts gelangt er auf Fürsprache seiner Mutter im Alter von neun Jahren an den bayerischen Hof. Hier wächst er gemeinsam mit dem jungen Kurfürsten Max Emanuel auf und ist dadurch freundschaftlich mit ihm verbunden.
Maffei nutzt die Möglichkeiten, die ihm das Leben am Hof bietet. Er tritt in die Armee ein und macht sich 1683 im Türkenkrieg einen Namen. Als Oberstleutnant kämpft er im Pfälzischen Erbfolgekrieg, gerät allerdings für über ein Jahr in französische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr 1695 wird er zum Oberst befördert.
Schließlich erhält er das Kommando über ein Regiment aus 5.000 Soldaten. Im Range eines Generalwachtmeisters führt er sie im Auftrag seines Kursfürsten und Freundes Max II. Emanuel in den Kampf und 1703 auch nach Scharnitz.
Nach dem „Bayerischen Rummel“ wird Maffei 1704 zum Kommandanten der Haupt- und Residenzstadt München ernannt. Ein Posten, der ihm jedoch wenig Glück bringt. Noch im Sommer desselben Jahres drängen die österreichischen Truppen unter dem Kommando Prinz Eugens mit ihren Verbündeten die französisch-bayrischen Kampfverbände hinter den Rhein und besetzen Bayern.
Nach dieser Niederlage flieht Max II. Emanuel nach Brüssel, Maffei aber bleibt in München und muss die Demobilisierung der bayerischen Armee überwachen. Erst danach darf er seinem König ins Exil folgen.
1710 kehrt Maffei in den aktiven Dienst zurück. Als Generalfeldmarschall im Dienste der kaiserlich-österreichischen Truppen nimmt er 1717 an der Eroberung Belgrads im Rahmen der Türkenkriege teil Zwei Jahre darauf scheidet er mit Eintritt in seinen Ruhestand aus dem aktiven Dienst aus. Maffei stirbt 1730 in München.
General Heister
Der Mann, unter dessen Führung die kaiserlich-österreichische Armee Tirol so rasch zu Hilfe eilen kann, ist General Sigbert Heister. Geboren 1646 in der Steiermark, entstammt er einer Militärfamilie. Sein Vater ist Vizepräsident des Kaiserlichen Hofkriegsrates, eine Karriere in der Armee für den Sohn also vorgezeichnet.
Während Maffei, der spätere bayerische General, erst 1696 die Möglichkeit erhält, ein eigenes Regiment zu bilden, wird Heister diese Ehre schon 1682 zuteil. Seine großen Verdienste im Kampf gegen die Türken, etwa bei der Belagerung Wiens, bringen ihm neben mehreren Beförderungen auch die Erhebung in den Reichsgrafenstand ein.
1697 kämpft Heister unter dem Kommando von Prinz Eugen von Savoyen. Der große Feldherr ist im Spanischen Erbfolgekrieg zunächst in Italien eingesetzt, danach kämpft er in Österreich gegen die Bayern. 1704 führt Prinz Eugen die große Offensive gegen die französisch-bayerischen Truppen an, die mit der österreichischen Besatzung von Bayern enden. Die Erfahrung, die Heister unter ihm sammelt, macht ihn zu seinem idealen Stellvertreter.
Im „Bayerischen Rummel“ 1703 ist es auch Heister, der mit seinem Heer von Österreich aus gegen die Truppen von Max II. Emanuel und General Maffei zieht, nach München vorstößt und Tirol vor einer langen Besatzung durch die Bayern bewahrt. Beim Fall Münchens und der Eroberung und Besetzung Bayerns 1704 ist Heister jedoch nicht dabei. Er ist im Osten Österreichs eingesetzt, wo er die Kuruzenaufstände niederschlagen soll.
Zwei Jahre später vereinen Heister und Prinz Eugen ihre Schlagkraft erneut, diesmal in Italien, ein Jahrzehnt darauf dienen beide in den Türkenkriegen. 1717 sind sie an der Eroberung Belgrads beteiligt, also an jener Schlacht, in der auch ihr ehemaliger Gegner General Maffei an ihrer Seite kämpft und sich bewährt.
Die Eroberung Belgrads ist im Leben von Sigbert Heister aber eine Zäsur: Sein Sohn fällt in dieser Schlacht. Das lässt den erfolgreichen General als gebrochenen Mann zurück. Er zieht sich auf sein Anwesen, Schloss Kirchberg in der Steiermark, zurück, wo er ein Jahr später stirbt.
Die Tragödie für Bayern
Nach der schweren Niederlage der Bayern 1704 verlässt Max II. Emanuel München, noch bevor die österreichischen Truppen dort eintreffen. Er geht in die Spanischen Niederlande ins Exil. Die Regentschaft hat er an seine Frau Therese Kunigunde übertragen.
Damit liegt es nun an der Kurfürstin und General Maffei, die Kapitulation von München umzusetzen. Kaiser Leopold I. schließt mit Therese Kunigunde den Vertrag von Illbesheim, der ihr die Oberhoheit und Kontrolle über die bayerische Hauptstadt gewährt. Anders als bei einer rigiden Besatzung durch österreichische Truppen kann der Habsburger-Kaiser seine militärischen Kräfte so anderweitig bündeln und muss sich nicht um die Aufrechterhaltung der Ordnung in München kümmern.
Mit dem Tod Leopolds I. ändert sich das jedoch. Sein Nachfolger Josef I. lässt München tatsächlich besetzen und betreibt eine brutale Besatzungspolitik: Steuern werden erhöht, Soldaten ohne Einverständnis der Bevölkerung in deren Häusern einquartiert. Was die Truppen an Lebensmitteln und sonstigem benötigen, wird beschlagnahmt. Das trifft vor allem die oberbayerische Landbevölkerung hart.
Die rigide Besatzungspolitik weckt Widerstand in der Bevölkerung. In München planen Verschwörer rund um Johann Jäger und anderen einen Aufstand. Hier und am Land kommt es im Dezember 1705 zu Erhebungen gegen die österreichischen Besatzer.
Die kaiserlichen Truppen schlagen die Revolte allerdings brutal nieder. Selbst Aufständische, die sich ergeben, dürfen selten auf die Gnade der Gefangenschaft hoffen. Die meisten werden noch an Ort und Stelle hingerichtet. Die letzte Gruppe der Widerstandskämpfer versteckt sich in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember in der Pfarrkirche von Sendling. Im Auftrag der kaiserlichen Reichsarmee spürt ein Infanterieregiment aus Würzburg die Aufständischen dort auf. Die Soldaten zeigen weder Achtung vor der Kirche noch vor dem Christfest. Sie richten unter den Rebellen ein Massaker an. Es wird als „Sendlinger Mordweihnacht“ in die Geschichte eingehen. Der Widerstand der Bayern bricht zusammen. In nur drei Wochen des Aufstands haben über 10.000 Menschen den Tod gefunden.
Die schrecklichen Ereignisse prägen die Menschen in Oberbayern und München über Generationen. Plünderungen in Mittenwald, Hinrichtungen in München, Steuereintreibungen und Zwangsrekrutierungen schüren den Hass gegen Österreich und brennen den Wunsch nach Rache und Revanche ins kollektive Bewusstsein der Bayern ein. Hundert Jahre später wird sich dieser Zorn in den Napoleonischen Kriegen entfesseln und gegen die Menschen in Tirol wenden.
1714: Das Ende des Krieges
Nach dem „Bayerischen Rummel“ wütet der Spanische Erbfolgekrieg noch weitere elf Jahre. Wie so oft in der Geschichte ist er Auslöser für weitere kriegerische Auseinandersetzungen gewesen. Zugleich hat es aber auch bewaffnete Konflikte gegeben, die zwar unabhängig von der Frage der spanischen Erbfolge entstanden sind, sich dann aber damit vermischt haben. Wie im Dreißigjährigen Krieg sind so, einer Kettenreaktion gleich, viele europäische Staaten in den Spanischen Erbfolgekrieg hineingezogen worden. Zeitgleich sind die Türkenkriege, der Nordische Krieg und zwischen den Seefahrermächten auch Kämpfe in den Kolonien ausgetragen worden. All diese Konflikte haben die Regenten in ihren Entscheidungen und Handlungsweisen beeinflusst.
Erst 13 Jahre nach Kriegsausbruch schließen der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und der König von Frankreich Frieden. Die beiden setzen einen Verhandlungsprozess mit allen Kriegsparteien in Gang. Am 7. September 1714 nehmen diese den Frieden von Baden an.
Im Jahr darauf darf Max II. Emanuel von Bayern in seine Heimat zurückkehren. Um sich gegenüber dem Kaiser zu rehabilitieren, stellt er 1717 bayerische Truppen in den Türkenkriegen. Zwistigkeiten begleiten den Wittelsbacher aber weiter, wenngleich es nun Probleme mit seinen verschiedenen Familienzweigen sind. 1726 stirbt der Kurfürst an den Folgen eines Schlaganfalls. Sein Sohn Karl Abrecht versucht noch, die Großmachtträume seines Vaters weiterzuführen. Erst sein Enkel Maximilian III. Joseph gibt diese ab 1745 endgültig auf. Er kümmert sich in Bayern fortan um innere Reformen. Österreich ist zu dieser Zeit im Osten und Süden in Konflikte verwickelt. Es hat den Anschein, als kehre in Tirol und Bayern nun Frieden ein.
Im Spanischen Erbfolgekrieg haben sich die Österreicher nicht durchgesetzt. Mit Philipp von Anjou besteigt die Linie der Bourbonen den spanischen Thron und behält ihn mit Unterbrechungen bis zum heutigen Tage.
Reparatur und Wiederaufbau
Als sich die Bayern 1703 aus Tirol zurückziehen, erleidet die Porta Claudia durch sie schwere Zerstörungen. Danach kehrt im Land aber Ruhe ein. Kaiser Josef I. lässt die Befestigung ab 1705 wieder aufbauen.
Zu den baulichen Maßnahmen gehört eine neue Talsperre im Norden, die es in dieser Stabilität vorher nicht gegeben hat. Der Torbereich erhält eine Kapelle und wird groß ausgebaut. Was später als Torbastion einen von drei Hauptteilen der Befestigungsanlage ausmachen wird, stammt aus dieser Zeit. Neben dem Bereich um das Tor und der Nordmauer wird auch beim Fort Sankt Nikolo gebaut: Ein Vorwerk ersetzt 1719 den früheren Holzbau. Palisaden, Mauern und Befestigungen, die zur alten Porta Claudia nahe der Isargrenze beim Inrain zu finden waren, werden saniert und sollen künftige Angriffe verhindern.
Im Dorf Scharnitz wird ein neuer Platz für die Lagerung von Pulver und Munition gefunden: Das Depot kommt in die Nähe der neuen Torbastion. Waffen werden künftig vor Ort in einer eigenen Waffenschmiede hergestellt. Dass diese auch in Friedenszeiten wirtschaftlich bestehen kann, garantiert das unter Karl IV. geförderte Schützenwesen. Wie im ganzen Land gibt es in Scharnitz bald eine gut ausgebildete und kampfbereite Schützenkompanie. Für die hiesige Tradition des Schießsports wird damals der Grundstock gelegt, heißt es in der Dorfchronik. Die neue Schützeneinheit ist der Porta Claudia zugeteilt.
Bis heute haben die Scharnitzer Schützen eine besondere Beziehung zur Festung. Das alljährliche Bergfeuer wird in einem unteren Bereich der Bergbastion entzündet; Mitglieder der Schützenkompanie tragen für die Pflege der Kapelle auf dem Gelände des ehemaligen Forts Sankt Nikolo Sorge und repräsentieren ihre Einheit bei Gedenkanlässen, die heute vermehrt im Bereich der ehemaligen Kaserne der Porta Claudia stattfinden.
Kein Vergessen
Der „Bayerische Rummel“ ist nicht vergessen. Obwohl in der Geschichte Tirols hauptsächlich die Freiheitskriege von 1809 in Erinnerung gehalten werden, treten seit einigen Jahren gerade in den vom „Bayerischen Rummel“ betroffenen Gemeinden die damaligen Ereignisse wieder stärker ins allgemeine Bewusstsein. Sie warten darauf, dass eine neue Generation sie für ihre Zukunft interpretiert.
2003 wird in Scharnitz nördlich des westlichen der ehemaligen Zollgebäude eine Stele aufgestellt, die an den „Bayerischen Rummel“ erinnert. Das Denkmal daneben ist bereits 1890 zur Erinnerung an die blutigen Kämpfe gegen die bayerisch-französischen Truppen 1805 errichtet worden. Neben diesem Gedenkstein in Form eines Obelisken mit einem Kreuz auf der Spitze nimmt sich die Stele an der Seite vergleichsweise bescheiden aus.
2009 findet im Hof der ehemaligen Kaserne, der heutigen Porta-Claudia-Arena, im Rahmen des Tiroler Landesgedenkjahres eine große „Landlibell“-Veranstaltung statt. Damit wird einerseits des Landlibells und der Schlacht von 1805 gedacht, andererseits auch aller Aspekte der kriegerischen Vergangenheit der Porta Claudia.
Regelmäßig gibt es in Scharnitz Veranstaltungen, die an dieses historische Erbe erinnern. Initiativen werden gestartet, um die Porta Claudia als kulturelles Wahrzeichen für die Region zu beleben. Es ist jedoch nicht das Symbol des Krieges, der Abschottung oder der Verteidigungsbereitschaft, für das die Porta Claudia und ihre Überreste stehen. Es ist der Lauf der Geschichte, zu dem auch und besonders die Ereignisse während des „Bayerischen Rummels“ gehören, der zu einem Symbol wird. Ein Symbol, das zeigt, wie aus einer blutigen Vergangenheit voller Hass und Zerstörung in einer Grenzregion zwischen ehemaligen Feinden nach und nach Bande entstehen, die heute in tiefer Freundschaft miteinander verbunden sind. Ein Symbol, das uns die Wandlung von Hass und Gewalt zu Frieden und Zusammenarbeit vorzeigt. Und damit ein Symbol, das jenen Geist verkörpert, der im 20. Jahrhundert mit der Gründung der Europäischen Union und ihrer Vorläufer den Kontinent erfasst und zum Ziel hat, Freiheit, Wohlstand und Zusammenarbeit auch in anderen Regionen Europas und der Welt zu fördern.
Der „Bayerische Rummel“ wird somit zum Teil eines Lehrstücks für ganz Europa.